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Jetzt weiß ich auch, warum die Führungskräfte in der Energiewirtschaft nie Zeit für Termine haben. Und das betrifft nicht nur mich, um mal den Ultraschlauen unter Euch, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Man nehme 30 (so viel benötigt man mindestens) beliebige Geschäftsführer, sagen wir mal aus Stadtwerken, und startet eine doodle-Anfrage. Das Ergebnis: 20 wissen nicht, was doodle ist – darum auch die mindestens 30 beim Start – das System rotiert in Endlosschleifen um Alternativtermine vorzuschlagen, oder Du bekommst einen Anruf aus der Schweiz, dass Du das System lahmgelegt hättest.
Die meisten Führungskräfte in der Energiewirtschaft haben nie gelernt, mit dem enormen Anstieg an Anforderungen bzw. Anfragen umzugehen, die aus dem Fortschritt u. a. der Digitalisierung resultieren. Früher hat man Briefe geschrieben und erhalten, heute prasseln Hunderte von Mails und (sofern angemeldet) Newsletter und Tweets auf einen ein. Das ist aber nur halb so schlimm, wenn man sich und seine Mitarbeiter mit entsprechenden Arbeitsgeräten und Software-Tools ausrüstet, die einem zum Beispiel helfen, Mails und News schneller zu scannen, vorzusortieren und zu kennzeichnen. Vielleicht muss man auch auf die ein oder andere formvollendete E-Mail oder E-Post verzichten und einfach mal eine What´s App-Nachricht probieren. Will sagen, nicht nur das Aufkommen ist gestiegen, es gibt auch entsprechende Werkzeuge, wenn man denn will.
Zu allem Überfluss muss man sich jetzt auch noch mit den Bedürfnissen der Kunden auseinandersetzen bzw. den Markt im Blick halten, um zu wissen, was die „Anderen“ machen.
Ernsthaft, beide Punkte könnten ein Grund für diese branchenspezifische Unerreichbarkeit sein. Insbesondere gilt dies, wenn einem wohl Unbekanntes angeboten wird. Schön nach der Devise: Was der Bauer nicht kennt, ...
Sehr treffend – nicht explizit die Branche und den Umstand mit der Terminfindung – beschreibt dies der Berater Manuel Kreutz in einem Interview mit Zeit Online.
Um die Unternehmen sicher durch diese neuen Herausforderungen zu führen, sei es nach Kreutz unabdingbar, dass Veränderungen vorgenommen werden. Und bestimmt ist damit nicht der Reflex der Branche gemeint, einen Arbeitskreis zu gründen. Es geht darum, die Mitarbeiter eines Unternehmens bei der eigenen Evolution hin zu einem „user“ zu helfen. Der Generationswechsel dauert einfach zu lange (und jetzt sollen die „Alten“ auch noch länger arbeiten), als dass man darauf warten könnte, dass diese digital natives in die Führungsetagen sitzen.
Zunächst einmal aber müssen die Führungskräfte in sich selbst investieren, um zu erlernen, worauf es durch die neuen Treiber ankommt. Und dafür bitte keine Kohle für Was-in-Zukunft-auf-Sie-zukommt-Frontalbeschallung, oder Ihr-Unternehmen-ist-wie-eine-Fußballmannschaft-Gähn-Seminar ausgeben. Sondern versucht es mal eher mit Was-geht-jetzt-da-draußen-ab-und-wie-kann-ich-mich-und-meine-Mannschaft-darauf-einstellen-Befähiger-Kurs.
Es ist nämlich unglaublich, wie arrogant, selbstsicher und gleichzeitig naiv so viele Entscheider und Macher "business as usual" betreiben.
Nehmen wir den Endkundenvertrieb, um an einem schönen Beispiel zu verdeutlichen, was alles möglich ist.
Stell' Dir vor, Du sitzt auf dem Sofa und schaust irgendeinen Tom-Cruise-Film. Deine Dich liebendes Gegenüber liegt Dir während des gesamten Films in den Ohren, wie toll Dir das Jackett von Cruise stehen würde. Eigentlich bist Du der gleichen Meinung, nimmst das eingeblendete Werbeangebot im Film war und lässt Dich zum Onlinehandel Deines Vertrauens routen. Ah, siehe da, es ist verfügbar und noch vor Ende des Films klingelt es an der Tür und jemand gibt Dir Dein Jackett. Was ist passiert? Dein Online-Händler kennt Dich, er hat alle Daten gekauft, die er über Dich bekommen konnte, gesammelt und mit Algorithmen weiterentwickelt. Er kennt Dein Fernsehverhalten, all Deine vergangenen Entscheidungen. Er saugt sich alles aus Facebook, Twitter, Xing, google+ usw. Er hat also ein zweites Du in seinem CRM-System. Und dieses Du sagt ihm schon im Voraus, wie wahrscheinlich es ist, dass Du dieses Jackett bestellen wirst. Hinzu kommen Kleinigkeiten wie ein gigantisches Netzwerk von Distribution, usw. usw. Spinnerei, klappt nicht, wird es nicht geben? Zalando sieht das anders (rp-online).
Und nun der Test. Erzähl die Geschichte mal einem Stadtwerk. Vielleicht verpackst Du es als Idee und warte die Reaktionen ab. Was glaubst Du, wie viele würden sich mit dem Thema länger als fünf Minuten beschäftigen?
Das heißt die Führungskräfte müssen sich anpassen.
Ach, was schreiben wir, besser als der Interviewpartner können wir es gar nicht formulieren:
„Während es früher wichtig war, zu planen, fordert der Wandel heute eine drastische Flexibilität. Ein großes Problem ist das Unvermögen von Führungskräften, sich auf diese Rahmenbedingungen einzustellen. Durch die Digitalisierung verändern sich vor allem Kundenzugang, -verhalten und -erwartung. Und das hat massive Auswirkungen auf die Art der Kundengewinnung, -kommunikation, -interaktion und -bindung. Darauf müssen sich Unternehmen ebenfalls einstellen. Deshalb werden Gewinner dieses Wandels diejenigen sein, die die Verschmelzung der verschiedenen Kanäle erkennen und umsetzen.“ Berater Manuel Kreutz Zeit Online.